Text von Hans – H. Mende zum Katalog Ich – Momente und Sandzeichen von Michaela Rothe

(…..) Michaela Rothes Bilder atmen Zeit, lassen die vielen Stationen malerischer Unternehmungen und Vorgänge im Ergebnis des Tafelbildes ablesbar bleiben. Geradezu herausgefordert scheint der Betrachter, den verschlungenen Pfaden der Malexkursion zu folgen, sie Schritt für Schritt mit zu gehen – off road, abseits befestigter Wege. Rothe vermag dabei in ihren Arbeiten tatsächlich Essentielles über ihre eigenen ausgedehnten Reisen und Touren mitzuteilen. Bevorzugt wurden die Wüstengebiete des arabischen Raumes, bzw. islamische Länder, deren landschaftliche und ethnographische Eigenheiten bis hin zu ihrer Musik in einigen Bildern deutlich anklingen.

Unübersehbar und zum Thema schlechthin werden diese Affinitäten in einer Arbeit, einem Diptychon eigentlich, mit dem Titel S-A-H-R-A, dessen zwölf Felder aus einer Art aufkaschierter Notiz- und Skizzenzettel bestehen, die sich Hautgleich, dabei sandüberkrustet auf der Leinwand fälteln, stellenweise aufbrechen und reißen. In ihren aquarellhaft verschwimmenden Hauttönungen seltsam realistisch wirkend, Fragmente eines Wüstentagebuches, Dokumentation eines rätselhaften Geschehens, zu dessen Auflösung die zu geheimnisvollem Anagramm durcheinandergeschüttelten Ziffern und die Buchstaben des Wortes „Sahara“ nicht eben viel beitragen. Zusätzlich verschlüsselt ein blutrotes M den geheimen Sinn der Botschaft, und überlässt den Rezipienten einer Fülle möglicher Andeutungen und Bedeutungen. Zwischen kalkulierten Zufälligkeiten und abwägender Gestaltung trägt die Authentizität der künstlerischen Umsetzung das Ihre bei.

Michaela Rothes Bilder haben eine starke haptische Wirkung, fordern geradezu auf, sie anzufassen, sie fühlend zu erfahren. Fast meint man, sie riechen und schmecken zu können. Schon in sehr frühen Arbeiten der Malerin ist diese Materialisierung der Leinwand zu beobachten. Die bloße Stofflichkeit des Gewebes wirkt wie Verwandelt in ein Bildobjekt von eigene, in seiner Ingredienzien nicht mehr genau zu definierender Substanz. Damals noch einem gegenständlich orientierten Realismus verhaftet gelang es ihr bereits in jenen Bildern, durch den unkonventionellen Gebrauch des Materials – indem sie z. B. mit Pastell – Ölkreiden auf ungrundiertem Nessel malte – den Bildoberflächen ausgesprochen taktile Reize zu verleihen und damit die textilen Strukturen des Sujets geradezu plastisch hervortreten zu lassen. Nunmehr scheinen dem Einsatz der verschiedenen Materialien keinerlei Grenzen mehr gesetzt: über diverse Stifte und Kreiden finden von Eitempera bis acrylgebundenen Pigmenten unterschiedlichste Farben Verwendung, wird die gespannte Fläche durch spachteln, bekleben, collagieren von Papieren und Stoffen zum Relief. Oberflächen werden rau durch Sand, aufgetragen wieder abgearbeitet, wie verwittert in natürlichen Erosionsproze?. Zuweilen körnt sogar Reis u.ä. den Materialgrund und lässt eine völlig neue Stofflichkeit entstehen mit, dem konventionellen Tafelbild unbekannten Eigenschaften einer neuen, sinnlichen Materialpräsenz. Oberflächen die zu Landschaften werden, oder wirken wie zum Gerben aufgespannte Tierhöute, kaum noch identifizierbar als artifizielle Produkte – fast schon natürlichen Ursprungs. Verstärkt wird dieser Eindruck oftmals durch eine Farbigkeit, die sich bevorzugt in der Skala der warmen Farben bewegt. Erdtöne, die Farben der Elemente – selten jedoch lastende Schwere. Immer öffnen sichtransparente Tiefen, entwickeln aus dem Umfeld der „schweren“ Farben Leichtigkeit und Leuchtkraft. Zentren der Ruhe und Sammlung entstehen.( ………)
Daß Antonio Tapies zu den großen Vorbildern der Malerin Michaela Rothe gehört, bedarf kaum der Bestätigung. Eher schon erstaunt es Monet genannt zu hören, dessen immerwährende Auseinandersetzung mit dem Phänomen Licht hier wohl besonders fesselt. Kaum größer die Verschiedenheit: hier opake, dichte Erdigkeit – dort die schiere, schwerelose Transparenz des Lichtes
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Michaela Rothe legt kaum Wert auf den Wiedererkennungswert des individuellen Duktus’, auf die Markenzeichen einer sofort identifizierbaren Pinselführung. Ihre Arbeiten erhalten ihre ganz eigene Qualität aus der freien Handhabung der malerischen Mittel, welche sich einfühlsam dem jeweiligen Bildgegenstand unterordnen, den beabsichtigeten Wirkungen entsprechen. Vonlasierend gewischten Verläufen bis zu wahren Farbexplosionen reicht die band breite. Von heftig mit breitem Pinsel hingefetzten Passagen bis zu den ruhigen, solide handwerklich gespachtelten Reliefs, ja bis zu Oberflächen und Oartien, die kaum mehr die Spuren eines Werkzeugeserkennen lassen, geradezu organisch hervorzugehen scheinen aus einem naturhaften Prozess des Wachsens und wieder Vergehens. Keineswegs jedoch versucht Rothe hier, Natur etwa nachzuahmen oder mimetisch abzubilden; lediglich empfindet sie natürliche Abläufe nach und gibt so – jenseits aller kunstmarktorientierten Schnelligkeit – auch der zeitlichen Dimension in ihren Bildern Raum. (….)