… eine zeitlang eine fremde Stadt erkunden, dabei über ihre Brücken und an ihrem Fluss entlang schlendern. Beim durchstreifen der unbekannten Strassen entwickeln die ins Strassenpflaster eingebetteten Gullydeckel mit ihren unterschiedlichen Formen und erzählerischen Gestaltungen eine große Anziehungskraft auf mich.
Sie erzählen etwas über die Stadtgeschichte und sind dennoch eine verschlossene Öffnung. Aber was verbergen sie, was liegt darunter? Sie markieren die Schnittstelle zwischen der sichtbaren Stadt und ihrer dunklen Schwester der "Unter- oder Gegenstadt", deren Existenz das Leben der "Oberstadt" ergänzt.
Kinder sind Künstler der Wahrnehmung: Inmitten alltäglicher Hektik halten sie inne, wenn sie etwas entdecken, das ihre Aufmerksamkeit gefangen nimmt und vergessen die Welt ringsherum. Kindliche Phantasie entfaltet sich anhand von Kleinigkeiten, die Erwachsene oft übersehen. Während die Blicke der "Großen" häufig auf die nächste Handlung gerichtet sind und alles andere als "stöhrend" ausblenden, entdeckt der Blick des Kindes das kleine Besondere, verliert sich im Detail und scheint die Ewigkeit darin zu finden.
Bei der Betrachtung von Michaela Rothes Kunstobjekten wird in der kindlichen Phantasie die Feder zum kläglichen Rest eines verunfallten Vogels und regt zu Spekulationen über den Hergang des Unglücks an, voller Mitgefühl und Zärtlichkeit. Auch andere Symbole werden sofort erkannt: die rote Farbe wird zum Blut, die kleinen - Schrift ähnlichen - Zeichen zum Symbol des Fremden und das Fell zum Tier. In Rothes Kunstwerken sehen die Kinder gute und böse Träume und lassen sich anregen, über Ängste und schöne Momente zu sprechen.
Kinder nehmen äußerst differenziert wahr. Sie öffnen beim Betrachten dieser Kunst-Räume ihre eigenen phantastischen Welten und kommen zu tiefsinnigen Überlegungen. Es ist ein Glück für denjenigen, der sich die Zeit nimmt, mit den Blicken der Kinder gemeinsam zu verweilen und Kunst zu betrachten.
 
Inge Worthmann